https://www.nzz.ch/feuilleton/mark-knopfler-der-meister-der-subtilen-virtuositaet-ld.1478866Mark Knopfler swingt noch immer
Mit 69 Jahren geht der Dire-Straits-Gitarrist nochmals auf eine grosse Tournee. Vielleicht ist es das letzte Mal: Dem Meister der subtilen Virtuosität fehlt die Zeit für all das, was er sonst noch tun möchte.
Hanspeter Künzler
8.5.2019, 05:30 Uhr
Mark Knopfler bleibt auch mit 69 Jahren ein Meister der subtilen Virtuosität. (Bild: Ennio Leanza / Keystone)
Mark Knopfler bleibt auch mit 69 Jahren ein Meister der subtilen Virtuosität. (Bild: Ennio Leanza / Keystone)
Er ist etwas rundlicher geworden, seine Gesichtszüge sind etwas zerknittert. Sonst aber scheint sich kaum etwas an der Erscheinung von Mark Knopfler verändert zu haben seit den fernen Tagen, als er mit Dire Straits auf den allergrössten Rockbühnen zu sehen war. Mit «Brothers in Arms» verhalf er dem neuen Tonträger CD dank dreissig Millionen verkauften Exemplaren damals zum Durchbruch.
Doch, etwas ist anders. Der Mann, der einst so bärbeissig zum Interview antrat, verstrahlt heute abgeklärte Zufriedenheit. Im August feiert er seinen siebzigsten Geburtstag. «Was ich besonders interessant finde an meiner Situation», sagt er, «ist die Tatsache, dass ich keinerlei Anzeichen entdecken kann, dass mir das Schreiben von Songs irgendwie schwerer fiele. Ich komponiere mehr denn je.» Das freue natürlich seinen Manager, sagt er mit einem Grinsen: «Es bleiben immer mehr Lieder fürs Box-Set übrig.»
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Album, Soundtrack, Musical
Das mit lakonisch betitelte letzte Album «Down the Road Wherever» erschien im letzten November. Nach sechs Studioalben mit Dire Straits ist dies Knopflers zehntes Solowerk. Dazu kommen neun Film-Soundtracks. Und soeben hat das Musical «Local Hero» in Edinburg Premiere gefeiert. Dafür hat Knopfler wie schon für die Filmversion vor 36 Jahren die Musik besorgt. Kritiker wie Publikum zeigten sich begeistert: «Pure Magie» befand «The Scotsman». Ende Juni läuft das Musical im Londoner Old Vic Theatre an.
«Fragen Sie mich nicht, wie ich auch dafür noch Zeit gefunden habe», sagt Knopfler lachend. «Nie im Leben hätte ich gedacht, dass ich je ein Musical machte. Aber ich liebe diese Story. Sie bewegt mich noch heute. Erzählt wird die Geschichte eines Ölmagnaten aus Texas, der in Schottland ankommt, um einen Strand zu kaufen, sich dann aber in ein ganzes Dorf verliebt.»
Dire Straits waren ein typisches Produkt der Londoner Pub-Rock-Szene. In den späten 1970er Jahren, parallel zur Punkszene, florierte dieser von Rockhistorikern zu Unrecht vernachlässigte musikalische Biotop. Für einen lächerlichen Eintrittspreis und ein paar Biere war es möglich, Bands wie Ian Durys Kilburn and the High Roads, Joe Strummers 101’ers oder Dr. Feelgood zu bewundern. Rhythm’n’Blues, Cajun und Americana gaben den Ton an. Die technischen Fähigkeiten der Musiker waren oft bemerkenswert, Humor gehörte zum Stil.
Das erste Soloalbum von Ian Dury erschien dann 1977, das erste Dire-Straits-Album ein Jahr später. Beide markierten den kommerziellen Höhepunkt der Szene und hoben sich von der Konkurrenz dadurch ab, dass sie aus alten, unauffälligen Zutaten einen eigenen, unverkennbaren Sound kreierten und überdies ein paar knackige Refrains servierten. Damit kamen sie einem Publikum entgegen, das sich weder bei den Punks noch in den Discos heimisch fühlte. Knopfler wirkte damals zerzaust, auch wenn er sich gerade gekämmt hatte. Anno 1978 war er ein Jedermann, der im Pub gern in Ruhe sein Bier trank und zufälligerweise ausgezeichnet Gitarre spielen konnte.
Mit der Ruhe war es nach dem ersten Album vorbei. Und selbst die etwas weniger erfolgreichen nächsten Dire-Straits-Alben wurden mit Gold- und Platin-Auszeichnungen überschüttet. Mit «Brothers in Arms», erschienen am 13. Mai 1985, war man drei Jahre lang die erfolgreichste Band auf dem Planeten. Es hätte nicht besser laufen können. Doch zum Leidwesen der Band, der Plattenfirma und der Fans warf Knopfler das Handtuch. «Es war mir alles zu laut und zu gross geworden», sagt er heute; «es ging nicht mehr um die Musik.» 1991 erschien noch ein letztes Dire-Straits-Album. Zuvor hatte Knopfler mit den Notting Hillbillies die Rückkehr in die Anonymität des Pub-Rock geprobt, dazu mit seinem grossen Gitarrenvorbild Chet Atkins ein brillantes Duo-Album eingespielt. Danach blieb er fünf Jahre lang still, ehe er mit «Golden Heart» (1996) sein Solo-Comeback wagte.
Feilen am Song
In England kann Mark Knopfler heute wieder durch die Strassen wandern, ohne behelligt zu werden: «Ich brauche bloss meine Mütze aufzusetzen. Die Menschen sind grossartig zu mir.» In einer unscheinbaren Seitenstrasse in Westlondon hat er sich ein herrliches Aufnahmestudio eingerichtet, das gross genug ist für ein mittleres Orchester. Oft an der Seite seines alten Mitstreiters Guy Fletcher aus Dire-Straits-Zeiten macht er hier das, was er am liebsten macht: an Liedern feilen, sie aufnehmen und dann mit einer Band einstudieren.
Für die gegenwärtige Tournee hat er sein Live-Ensemble nochmals erweitert. Es umfasst inzwischen elf Musiker, darunter die beiden Folkies Mike McGoldrick und John McCusker, dazu der Perkussionist Danny Cummings, der Saxofonist Nigel Hitchcock und der Trompeter Tom Walsh. Es könnte die letzte Gelegenheit sein, Knopfler im Ausland zu erleben. Er will die Zahl seiner Auftritte danach wieder zurückschrauben. Nicht etwa wegen mangelnder Energie oder gar Altersschwäche, im Gegenteil. Er brauche mehr Zeit zum Songschreiben und zum Üben, sagt er: «Wenn man eine Wahl treffen muss, fällt zuerst das weg, was am meisten harte Arbeit bedeutet. Touren – das wird wohl der Baum sein, der zuerst gefällt wird.»